Allegorie des Alltäglichen

Endlich, was läßt sich nicht alles allegorisieren!
(Lessing, Abhandlung über die Fabel, 1759)

 

Zuallsandachten

Christian Scriver. Gottholds zufällige Andachten EA: Magdeburg: Johann Müller, 1663 – Hier nach: Christian Scriver. Gottholds zufälliger Andachten Vier Hundert. Bey Betrachtung mancherley Dinge der Kunst und Natur / in unterschiedenen Veranlassungen zur Ehre Gottes / Besserung des Gemüths / und Ubung der Gottseligkeit geschöpffet / Auffgefasset und entworffen / auch ietzo abermahl übersehen / hin und wieder verbessert / mit einem reichern Register / auch einer neuen Anweisung / wie sie in Erklärung der Sonn- und Festtäglichen Evangelien und Episteln zu gebrauchen /versehen / Und zum fünfften mahl ausgefertiget von M. Christian Scriver / Pfarrern bey der S.Jacobs-Kirchen in der Alten Stadt Magdeburg. Mit Chur-Fürstlicher Sächsischer Freyheit. Leipzig, Verlegt durch Johann und Friedrich Lüderwald 1683. – Das andere Hundert, XI.

Die Ruder=Knechte.

Gotthold sahe etliche Schiff-Leuthe in einen Both treten/ um über einen schiffreichen Fluß zusetzen/ da denn ihr zween sich an die Ruder machten/ und gewohnter Art nach/ den Rücken nach dem Ufer wandten/ da sie hingedachten/ einer aber blieb am Steuer stehen/ und hatte das Angesicht auff den Ort/ da sie anländen wollten/ unverwandt gerichtet/ und also schifften sie geschwind dahin. Sehet hie/ sprach er zu denen/ die um ihn waren/ eine gute Erinnerung von unser Arbeit und Geschäfften. – Dis Leben ist ein schneller und gewaltiger Strohm/ der von Zeit zu Zeit in das Meer der Ewigkeit verfleust/ und nicht wieder kehret; Auff diesem Strohm hat jedweder das Schifflein seines Beruffs/ welches mit den Rudern fleißiger Arbeit fortgebracht wird. Da sollen wir nun/ wie diese Leute/ den Rücken dem Zukünfftigen zuwenden/ und in gutem Vertrauen zu GOtt/ der am Ruder stehet/ und das Schifflein dahin krafftiglich lencket/ wo es uns nütz und selig ist/ nur fleißig arbeiten/ und im übrigen unbekümmert seyn: Wir würdens lachen/ wenn wir sehen würden/ diese Leute sich umwenden/ mit Vorgeben/ sie könten so blinderlings nicht fahren/ sie müsten auch sehen/ wo sie hinkämen: Was ists denn vor eine Thorheit/ daß wir alles Zukünfftige/ und was vorhanden ist / mit unsern Sorgen und Gedancken wollen erreichen? – Laßt uns rudern und arbeiten und beten; GOtt aber lasset steuren/ gesegnen und regieren. Mein GOtt! bleibe ja bey mir in meinem Schifflein/ und lencke es nach deinem Wolgefallen/ ich will mein Angesicht auf dich wenden/ und nach dem Vermögen/ das du darreichest/ fleißig und getreulich arbeiten/ das übrige wirst du wohl machen.

Genealogie:

Joseph Hall (1574–1656), »Occasionall Meditations« (1630) werden imitiert von Georg Philipp Harsdörffer, »Nathan und Jotham/ das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte« (1650) II, 60.Lehrgedicht [Neudr. der Ausg. Nürnberg 1659, hg. und eingeleitet von Guillaume van Gemert, Frankfurt am Main: Keip, 1991; hier II, S.98ff.] Daher kennt Scriver zugegebenermaßen die Technik. — Ein Nachfolger ist: [Ahasverus Fritsch, 1629–1701] Gottlobs Hundert sonderbare Zufällige Andachten, Bey Unterschiedlichen Begebenheiten abgefasset, Und Zu hoffender Erbauung des Neben-Christen schuldigst mitgetheilet, Franckfurt und Gotha: Boetius 1684, 2. Leipzig Auflage 1700 [erweitert auf 500 Andachten]; 3. Aufl. 1715.

Interessanterweise kommt das Verfahren nicht nur in Andachtsliteratur vor. Hier eine Stelle aus einer durchaus weltlichen enzyklopädie-ähnlichen Schrift:

Der geflügelte Fisch.

Dieser Fische hat Plinius bereits gedacht und sie mit dem Nahmen Hirundo marina, Meer=Schwalbe beleget. Man findet sie heut zu Tage sehr häuffig bey der Cap de bonne Esperance wie auch in America. Sonderlich hat man deren bereits zwey Arten angemercket/ etliche/ die nur so groß als ein Heering sind/ aber lange und harte Floß=Federn wie Flügel haben; Andere sind grösser und dicker/ haben kleinere Flügel. Beyde mögen doch über 100. Schritte nicht fliegen/ und diese Kraft hat der gütige Schöpffer ihnen beygeleget/ den Rauberischen Fischen/ die sie stets verfolgen zu entgehen/ wie wohl sie dabey noch nicht gantz in Sicherheit gebracht sind/ weil sie öffters den Raub=Vögeln in die Klauen fallen. – Es ist dieser Fisch ein Sinn=Bild/ so herrlich als eines seyn kan/ derjenigen Welt=Christen/ die eine Empfindung des Lebens/ das in GOtt ist/ bekommen haben/ aber die Welt noch nicht gantz verlassen können/ daher sie in Gefahr unter den Fischen im Wasser/ das ist/ unter den ruchlosen Welt=Kindern sind/ wenn sie es noch mit der Welt halten/ und in neuer Gefahr vor den Raub=Vögeln/ das ist/ Ketzern und Schwärmern/ wenn sie sich über sich in den Himmel der wahren Christen erheben wollen.

»Der tranchierte Kapaun«

Johannes PAULI, O.F.M. (nach 1450 – um 1520), »Schimpf und Ernst« (Erstdruck Straßburg: Johannes Grieninger 1522), hg. Hermann Oesterley, Bd. 1: Text (Bibliothek des litterarischen Vereins 85), Stuttgart 1866)

Von Schimpff das 58.

Nach der Geschrift Kappen zerlegen.

Uf ein Zeit ward ein Beichtvatter, ein Ordenßman von einem Edelman zů Gast geladen, er solt mit im essen. Da man nun zů Tisch gesaß und aß, da was er da und seine zwen Sün und seine zwo Döchteren, die sassen auch da. Da nun das Gebratens kam, da was ein Rebhůn oder ein gebratner Kappen, was es dan was. Der Edelman legt dem Ordenßman den Kappen uff seinen Deller, er solt in zerlegen. Der Ordenßman legt im den Kappen widerumb für und sprach: ›Ich kan nichtz damit; wer wolt mich leren Hüner zerlegen?‹ Der Edelman sprach, er müst in zerlegen, und legt im den Kappen widerumb uff den Deller. Der Münch sprach: ›Můß ich in zerlegen, so wil ich in nach der Geschrifft zerlegen.‹ Die Frau sprach: ›Ja, Her, das thůn, zerlegen in nach der Geschrifft!‹ Der Münch schneid dem Kappen den Kopff ab und legt in dem Edelman für. Darnach schneid er den Kragen ab, und legt in der Frawen für. Darnach schneid er dy Flügel ab und legt sie den zweien Döchtern, den zweien Junckfrawen für. Darnach schneid er die zwen Schenckel ab und legt sie den zweien Sünen für; und den gantzen Kappen aß er allein und gab niemans nichtz davon.

Da der Münch nun den Kappen also allein uff het gessen, da sprach der Edelman: ›Her Beichtvatter, wa stot das geschriben, das man die Kappen also zerlegen sol?‹ Der Münch sprach: ›Juncker, in meinem Haupt stodt es geschriben. Ir sein das Haupt in euwerem Hauß, darum hat euch billich das Haupt von dem Kappen zůgehört. Mein gnedige Frau ist die nechst nach euch und das nechst nach dem Kopff, und hat ir billich der Kragen zůgehört. Und den Junckfrawen gehören dy Flügel zů, die fliegen in iren Sinnen hin und her und haben Sorg, was sie für Man überkummen und wie sie versorgt werden; darumb haben inen von Recht die Flügel zůgehört. Und den zweien Sünen gehören die zwen Schenckel zů, darumb das uff inen das gantz Geschlecht stot, und die Schenckel tragen den gantzen Kappen; darumb gehören inen billich die Schenckel zů. Nun ist es ein ungestalt Ding umb ein Fogel, der weder Kopff noch Kragen oder Flügel noch Schenckel hat. Und ein Münch in einer Kutten hat den Schnabel an dem Rucken, darumb so hat der Kap mir zůgehört.‹


Hans SACHS, Der Mönch mit dem Kapaun.
(4. August 1558)

Ein Edelmann im Baierland,
Von gutem Stamm, doch ungenannt,
Hatt' einen Mönch zu seinen Fladen
Am heil'gen Ostertag geladen.
Derselbe sein Beichtvater wâs.
Selbsiebend er zu Tische saß;
Der Edelmann saß obenan,
Zur Seite saß sein Weib ihm dann
Und neben ihr zwei junge Söhn'
Und dann zwei junge Töchter schön.
Der Mönch macht' voll die Siebenzahl
Und saß beim Ritter bei dem Mahl
Und auch das Benedicite sprach.
Da setzt' man auf den Tisch darnach
Den geweihten Fladen mit den Eiern,
Wie das ist Brauch im Lande Baiern.
Von dem Geweihten aß jedermann.
Dann bracht' man einen Kalbskopf an
Auf einer Platt' mit viel Kalbsfüßen,
Daß sie den Hunger thäten büßen.
Als man das von dem Tisch wegnahm,
Die gelbe Ostersuppe kam.
Nach dieser trug man auf den Tisch
Eine Platt' mit heißgesottnem Fisch.
Da fing der Mönch zu essen an,
Daß Schweiß ihm übers Antlitz rann.
Es ward nach allem dem zuletzt
Ein Kapaun gebraten aufgesetzt.
Den thät der Edelmann hoch preisen
Und legt', um Ehr' ihm zu erweisen,
Dem Mönch den feinen Braten für,
Daß er ihn sollte nach Gebühr
Gar höflich und artig zerlegen.
Der Mönch gab Antwort ihm dargegen:
»Junker, ich kann auf meinen Eid
Nicht viel Gepräng' und Höflichkeit.
Soll ich zerlegen diese Speise,
So thu' ich's nach der alten Weise,
Wie man es that in alten Tagen.«
Die Edelfrau thät darzu sagen:
»Ja, Herr, zerlegt ihn ungestört,
Wie es die Alten euch gelehrt.«
Das Messer nahm der geschorne Tropf,
Schnitt dem Kapaune ab den Kopf
Und legt' den vor dem Edelmann;
Nach dem er sich nicht lang' besann,
Den Kragen dem Kapaun abschnitt,
Beehrt' die Edelfrau darmit.
Dann thät er ab die Füße schneiden
Und gab sie hin den Söhnen beiden.
Nach dem schnitt er die Flügel ab
Und jeder Tochter einen gab
Und legte ihn ihr höflich für.
Den Kapaun behielt er vor seiner Thür',
Der feist und ganz fürtrefflich war,
Und fraß in seinen Hals ihn gar
Und keinem etwas darvon gab
Und nagt' das Bein sein sauber ab.
Sie sahn das Mönchlein alle an.
Zuletzt sprach doch der Edelmann:
»Mein Herr, auf welcher hohen Schule,
Auf welcher alten Meister Stuhle
Ward das Zerlegen euch gelehrt?«
Der Münnich sprach: »Ich hab' verehrt
Euch, werther Junker (mir das glaubt!),
Den Kopf, weil ihr doch seid das Haupt
Und aller Weisheit thut regieren,
Die Unterthanen zu ordiniren,
Auch mannhaft seid in Krieg und Streiten,
Wenn ihr zu Fürstendienst thut reiten.
Den Kragen legt' ich vor die Frauen,
Die nach euch hat das meiste Vertrauen.
Die muß am Abend und am Morgen
Die Küche und das Haus versorgen,
Muß lassen Vorrath stets eintragen,
Was man muß haben in dem Kragen.
Ein jeder eurer Söhn' bekam
Einen Fuß, weil euer Geschlecht und Stamm,
Eur Schild und Helm und Wappen gut
Auf ihnen stehet und beruht.
Nach dem schnitt ich die Flügel ab,
Die ich alsbald verehret hab'
Den Töchtern, daß ich gebe kund,
Daß sie zur Liebe flügg' und rund,
Wo sie geschmückt mit Reverenzen
Sind bei der Edelleute Tänzen,
Wo mit freundlichem Augenblicken
Die Lieb' mit Lieb' sich thut erquicken.
Von dem Kapaun ist mir, ihr Lieben,
Nur der verstümmelte Rumpf geblieben.
Ich nahm mich seiner an als Armen
Und aß ihn selber aus Erbarmen,
Weil ich auch also hilflos bin
Und flieg' im Lande her und hin,
Bin ein Vogel und flügg' doch nicht,
Der Schnabel mir am Rücken liegt,
Ich bin geschoren wie ein Narr,
Die Kutt' hat Eselfarbe gar,
Bin wie ein Dieb gegürtet worden,
Seitdem ich bin im Barfüßerorden,
Und gehe barfuß wie die Gans.
Ist das nicht wahr, mein Junker Hans?«
Der Edelmann des Mönches lacht',
Daß er so schlau es ausgedacht
Und sich verschafft das beste Stück,
Den Braten schnitt mit solcher Tück'
Und ihn allein schlang in den Hals. –
Er lud ihn nimmermehr nochmals.

Der Beschluß.

Aus diesem Schwank die Lehre nehmt:
Ist wo ein Gast so unverschämt
Vor der Herrschaft und andern Gästen,
Daß er bei Tisch greift nach dem Besten
Und sich der Schleckerbißlein fleißt,
Dafür nur lahme Zoten reißt,
Dem höret man wol zu und lacht,
Doch wird von jedem still gedacht:
O Pfui! du unverschämte Sau!
Auch denkt im Hause Herr und Frau:
Der ist mit Unflath arg besessen,
Kann nichts als Saufen, nichts als Fressen,
Als woll' es ihm entwischen immer;
Und läd't die Sau fortan dann nimmer.
Der Gäst' gibt's viel jenseits des Bachs
Und diesseits auch, so spricht Hans Sachs.

Das ist gemeint:

Quelle: Balthasar Schnurrn vollständiges, und schon aller Orten bekandtes Kunst- Hauß- und Wunder-Buch/ darinnen nicht allein allerhand zur Haußhaltung nütz- und dienliche Sachen/ sondern auch andere rare und approbirte Wunder- und Kunst-Stücke begriffen.[…] Franckfurt am Mayn/ in Verlegung Johann Peter Zubrodt und Johann Haaß. Im Jahr 1676.

Vgl. das Tranchierbuch in: [Georg Grefflinger] Ethica Complementoria Das ist: Complementir-Büchlein/ In welchem enthalten/ eine richtige Art/ wie man so wol mit hohen als nidrigen Standes-Personen: bey Gesellschafften und Frauen-Zimmer Hofzierlich reden und umgehen solle, Amsterdam 1673.
> http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN61591750X

Gründliche und Deutliche Anweisung zum Trenchiren : Anleitende, Wie ein Trenchicant nicht allein sich vor der Tafel stellen, sondern auch die Gelencke an sich selbst zierlich treffen, und in Vorlegung der Speisen verhalten soll / Allen andern dieser Wissenschafft Liebhabern zum Besten in öffentlichen Druck vorgestellet von J. C. M., Jena 1683.

Weitere Hinweise: Artikel im Grimmschen WB, vgl. auch unter trenchiren u.dgl.

Vasnacht krapffen

Nach der Hs. Donaueschingen cod. 267 hg. Joseph von Laßberg in: Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836), S.212f.
> http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/periodical/pageview/278888
vgl. > http://www.handschriftencensus.de/werke/3704

[¶ als Lesehilfe eingefügt]

Welcher mensch ain edelen vasnacht krapffen wöl vnd och essen der sol disser andächtigen ler in sinem hertzen nit vergessen. Wen zů aim ietlichen vasnacht krapffen gehörent acht dinck. Zů dem ersten semelin mel. aijer. wasser. gewürtzte füll. salz. öl. fwr vnd ein pfan dar in der krapff gebachen werd. Waß bedüttend disse acht dinck?

¶ Diß semel mel betüt ain rain lutter läben mit ainem starcken gůtten gewissen. ¶ Die aijer bedüttend ain andächtig gebätt vnd ain loblich oppfer dem almechtigen gott ze lob vnd ze ere. Die temperier vnd vermisch vnder ain ander denn mit ¶ wasser ainer waren volkomenen rúw diner sünde. ¶ Darnach salz den taig mit beschaidenhait vnd mit ainem gaistlichen rewmüetigen läben. Vsß dem taig daz ist vsß dem hertzen [?] vnd mach darvsß ain krapffen der gott wol gefellichen ist vnd sij, vnd füll denn den krapffen mit dem ¶ gewúrtz ains andechtigen betrachten dez herten sterben vnd lidens vnsers hern Jhesu christi darin vindestu sicherhait vnd vollust nach begird dines hertzen. darnach wirff den krapffen in daz ¶ öll siner grundlosen herbarmherzigkait vnd lass in bachen in der wolhitzigen ¶ pfannen dines andechtigen herczen vnd inprinstiger göttlicher liebe vnd lass jn och wol prun werden in dem warmen ¶ für sines rosenfarben blůt in andechtiger prinnender lieb.

Den krapffen send junckher Jhesus dinem besunderen gaistlichen gespunß zwischen zwain silbernen schuisseln, die under schuissel sol sein willige Gehorsamkait aller göttlichen dingen nach dem willen gottes, dú ober schuissel sol sin ain emsige begerung aller himlischen ding. Dú zwu silbern schuisseln sollent sin verdeckt mit ainer wissen zwechel ains gůten vnd wol bwerten schinenden exempels aller obgenanten ding.

Wer sol aber dú schuisseln mitt dem edelgezierten krapffen schenken dem zarten gespons Jhesu? niemant anderst denn dú edle rainú sel, dú sol in wissem klaid aller vnschuld geklaidet sin. Ain guldin crentzlin sol sy och hangen an ir hertzen mit dem sy herlost hat Jhesus ir gemachel von dem ewigen tod. Die sol och haben an irem halz ain grönes crentzlin von mengerlayen wolschmeckenden blůmen aller gůtten werck dú sy geton hett her in dißer zyt.

Mit der also wolgezierten Sel wird Jhesus vasnacht halten vnd sy och zu hus laden in daz ewig leben vnd wirt mit ir tailen sin wolschmeckenden himlischen vasnacht krapffen mit vberflüssigen gnaden in sim rechten vaterland vnd wirt ir darnach vffsetzen vnd ze lone geben ain schon cron von golt vnd von edelm gestain zů aim zaichen daß sy vberwunden hat all widerwertikait diser welt vnd wirt ir och ain guldin vingerlin anstossen zů ainer bestettung daß sy ewiclich an end nimer mer von irem gaistlichen vasnachtbůlen vertriben sol werden vß dem ewigen leben. Daz geschech vns allen AMEN.

Erläuterungen:

Makrostruktur des Texts:

(A) Zubereitungsprozess der Krapfen – mit Allegorese der Zutaten

(B) Die Bäckerin überbringt den Krapfen ihrem Gespons in einer Schüssel – mit Allegorese auf die anima (mit Tugenden) und XPC

(C) geistliche Fastnacht zwischen dem Buhlen XPC und der Seele (Kontrafaktur im klösterlichen Kontext: wir Nonnen haben auch einen buolen, aber unserer ist Christus!)

Brauchtum: Der letzte Tag der Vorfastenzeit (“Güüdisziistig”) wird auch “Kräpfeldienstag” genannt (DWB). Hinweise in F.Zarnckes Kommentar zu Brants Narrenschiff (1854), S.465

›Sinnbrücken‹ zwischen Designans und Designatum im Teil (A):

<1> Semmel-Mehl — reines Leben, gutes Gewissen: Brot des Lebens (Joh. 6,35)

<2> Eier — Gebet, andächtiges Opfer

<3> Wasser — Reue der Sünden:

Quis dabit capiti meo aquam, oculis meis fontem lacrymarum? (Jer 14.17)

Quando orabas cum lacrymis, ego obtuli orationem tuam Domini (Tobias 12,12).

Beati, qui lugent (Mt 5,5).

Beati qui nunc fletis (Luc 6)

O aqua salutaris, per quam omne peccatum estruitur! O felix lavacrum, quod toties valet ad purgandum quoties pergandum indiget cor humanum. (Bernhard von Clairvaux)

Zum Bußsakrament vgl. Denzinger Nr. 1323. 1676 (tres partes pœnitentiæ: cordis contritio, oris confessio, satisfactio) – Heinrich von Langenstein, »Erchantnuzz der sund« I,7: Dy rew schol volchomen sein vnd anczig mit dem fürsacz, dy svnd ze peichten vnd ze puzzen, wann her Dauit spricht: ich wil mein pet waschen all nacht mit meinen zêchern (Ps 6,7)

  • H. G. Weinand, Tränen. Untersuchungen über das Weinen in der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters, Bonn 1958.
  • Louise Gnädinger, Wasser – Taufe – Tränen, in: Wolfram-Studien II (19##), S. 53-71.

<4> gewürzte Fülle — Betrachten der Leiden Christi

Gewürz duftet erst, wenn es im Mörser zerstoßen wird. Adams von Sankt Viktor Sequenz zum Martyrium des hl. Laurentius: Parum sapis, Vim sinapis, Si non tangis, Si non frangis, Et plus fragrat, quando flagrat Tus injectum ignibus.

Passionstraktat des Heinrich von St. Gallen: Und also wart aller sin [Jesu] lichnam czumult und czustossen als ein gewurcze in eime morser.

<5> Salz — reumütiges Leben, bescheidenheit:

Lauretus, »Sylva allegoriarum«, s.v. Sal

<6> Öl — Barmherzigkeit Jesu

Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk 10,34): Auslegungen des Öls

Lauretus, »Sylva allegoriarum«, s.v. Olea, Oliva, Oleum

<7> Pfanne — andächtiges Herz (wohl Spross-Allegorie aus <8>)

<8> Feuer — … brennende Liebe:

Brannte nicht unser Herz in uns ?… (Luc 24,32: Emmaus) – spiritu ferventes (Rom 12,11)

Hugo von Sankt Viktor, in Ecclesiasten Homilia I = PL 175,117. – Richard von Sankt Viktor, de quattuor gradibus uiolentæ caritatis, übers. von Margot Schmidt, München u.a.: Schönigh 1969: fervidus affectus, – amator, – caritas; fervor devotionis, amor fervidus, – igneus

Literaturhinweise:

Kurt Ruh, Artikel “Geistlicher Fastnachtskrapfen” in: Verfasserlexikon Bd. 2, 1159–61.

Dietrich Schmidtke, Studien zur dingallegorischen Erbauungsliteratur des Spätmittelalters. Am Beispiel der Gartenallegorie (Hermaea N.F. 43), Tübingen 1982.

Judith Theben, Die mystische Lyrik des 14. und 15. Jahrhunderts. Untersuchungen - Texte - Repertorium (Kulturtopographie des alemannischen Raums 2), Berlin/New York 2010.

Geschenk von verschleierten Jungfrauen

Hieronymus (um 347 – 419/420), Brief an Marcella (384)

Die Allegorie (Epist. XXII, nach Vallarsi XLIV) bezieht sich ähnlich auf eine konkrete Alltagssituation, die geistlich gedeutet wird.

Um uns über unsere körperliche Trennung durch geistige Unterhaltung zu trösten, tut jedes, was es kann. Ihr schickt Geschenke, wir Dankschreiben, doch so, daß, weil das Geschenk von verschleierten Jungfrauen kommt, wir darin gewisse verschleierte Geheimnisse nachweisen wollen. Der Bußsack deutet auf Gebet und Fasten hin; die Stühle, daß die Jungfrau ihren Fuß nicht auf die Straße hinaus setzen soll; die Kerzen, daß man mit angezündeter Leuchte die Ankunft des Bräutigams erwarten solle; die Becher zeigen auf die Abtötung des Fleisches und ein zum Martyrium stets bereitwilliges Herz hin. Denn »der berauschende Becher des Herrn, wie herrlich ist er!« (Ps 22,5) Wenn ihr aber auch Matronen kleine Fliegenwedel schenkt zum Verscheuchen dieser kleinen Tierchen, so liegt darin eine gewisse Hindeutung darauf, daß man schleunigst das üppige Leben ablegen müsse, weil die bald dem Tode verfallenden Mücken den Wohlgeruch der geistigen Salbung vernichten. So ist die Bedeutung für die Jungfrauen, so die figürliche Erklärung für die Matronen. Auf uns aber passen, obwohl in ungekehrtem Sinne, eure Geschenke. Das Sitzen paßt sich besser für die Müßiggänger, das Schlafen im Bußsacke für die Büßer, die Becher für die Zecher. Es mag auch angenehm sein wegen der nächtlichen Schrecknisse und der Ängstlichkeit der Gemüter, welche stets für ihr Gewissen fürchten, Kerzen anzuzünden.